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Von ANNA-THERESA BACHMANN (Text) und BENJAMIN NØRSKOV (Fotos)
5. Mai 2021 · Wenn Privatleute mit Metalldetektoren übers Feld spazieren, um nach Zeugnissen früherer Zeiten zu suchen, sind Archäologen nicht immer begeistert. In Dänemark haben sie sich arrangiert. Zu Besuch bei Amateuren, die den Wikingern nachspüren
„Aluminium ist die Pest“, sagt Michael Hedelund. Der 52-Jährige pult die Erde vom silbrig-matten Schnipsel in seiner Handfläche, um ihn gleich in einer seiner vielen Westentaschen verschwinden zu lassen. Schnell noch das Loch im kahlen Rübenacker zugemacht und die Plastikkopfhörer über die Ohren gezogen. Dann geht die Suche weiter an diesem grauen Sonntag im Dezember 2020, Meter für Meter, im 240-Grad-Winkel um den Kirchturm aus rotem Backstein herum.
Auf der kleinen Anhöhe in Alt-Rye, einem Städtchen in Jütland, stand schon im 12. Jahrhundert eine Kirche. Sie lag auf der Route von Pilgern, die aus Dänemark oder Norddeutschland gekommen waren, um das Wasser in einer nahen, als heilig verehrten Quelle zu trinken. Im Mittelalter wurde hier dreimal im Jahr ein großer Markt veranstaltet, und Händler bauten ihre Buden rings um die Wallfahrtskirche auf. In dieser Kirche wählten Adelige im Jahr 1534 einen neuen König. Einen kurzen Krieg später machte der nun gekrönte Christian III. sein Herrschaftsgebiet Dänemark und Norwegen 1536 protestantisch.
Pilgerstätte, Markttreiben, Hochadel: Alles Gründe für Bauunternehmer Hedelund und drei Mitstreiter, an einem freien Wochenende ihre Sonden über die Erde zu halten und zu versuchen, ein gutes Signal aufzuspüren. „Midtdetekt“ hat die Männer zusammengeführt, ein Verein für Laien, die in ihrer Freizeit mit Metallsonden über Äcker, Wiesen und Strände streifen. Seit der kommerziellen Verbreitung von Metalldetektoren in den 1970er Jahren führt die Wissenschaft eine hitzige Debatte darüber, wie Facharchäologen mit Sondengängern umgehen sollen. In Dänemark, wo die Bestimmungen locker sind, ist Sondeln zu einer beliebten Freizeitaktivität geworden, und die von Laien aufgespürten Funde aus der Wikingerzeit machen regelmäßig Schlagzeilen. Etwa 2016, als Amateure in Jütland auf einen fast ein Kilogramm schweren Wikingerschatz aus Gold stießen.
Dem „Danefæ“-Gesetz zufolge gehören herrenlose, kulturhistorische Stücke dem dänischen Staat, und den Entdeckern steht ein Finderlohn zu. Dabei kommt wieder Christian III. ins Spiel: 1536, das Jahr der dänisch-norwegischen Reformation, markiert in der dänischen Geschichtsschreibung das Ende des Mittelalters. Alle Stücke, die danach entstanden sind, zum Beispiel Hufeisen, Kupfermünzen und Bleifiguren, dürfen die Finder behalten. Alle Münzen aus der Zeit vor 1536 gelten hingegen unabhängig von ihrem Material als „Danefæ“, ebenso alle Gegenstände aus Silber und Bronze.
Münzen aus Gold und Schätze aller Art werden grundsätzlich als kulturhistorisch eingestuft, egal aus welcher Epoche sie stammen. Wer solche Stücke aufspürt, muss sie wie jedes andere „Danefæ“-Objekt im nächstgelegenen archäologischen Museum melden und zur Prüfung abgeben. Erhärtet sich der Verdacht, wandern die Objekte ins Dänische Nationalmuseum nach Kopenhagen zur erneuten Inspektion und Einschätzung. Auf diese Weise hatten Experten des Nationalmuseums im Jahr 2020 etwa 9150 Objekte zu untersuchen, von denen rund 980 als „Danefæ“ deklariert und mit insgesamt 1,1 Millionen Euro belohnt wurden. Die Summen orientieren sich am Marktwert.
Geld, Ruhm? Für die 250 Amateurarchäologen von „Midtdetekt“ kein Grund, um auf Streifzug zu gehen. Und als „Schatzsucher“ wollen sie erst recht nicht bezeichnet werden. Wer wie Michael Hedelund die ganze Woche im Büro sitzt, der freue sich auf den Ausgleich in der Natur. Und auf die Geselligkeit. Damit es zu keinen Reibereien kommt, gibt es für neue Mitglieder eine Einführung. Meistens von Tony Bülow, 62, Kindergärtner und Kleinhändler von Pflanzensamen, der auch im Verein die Rolle des Pädagogen übernimmt.
Bülow erklärt den Neuen das Statut von Midtdetekt: Suchen nur mit Genehmigung des Grundstücksbesitzers, nie tiefer Graben als die Pflugschicht, Grabfunde und Schätze sofort den zuständigen Museen melden, wie es das Gesetz vorsieht, und ja nicht selbst ausheben, lauten drei der zwölf Punkte. Wer sich nicht daran hält, fliegt aus dem Verein. Außerdem führt Bülow Neulinge in das Einmaleins der Detektortechnik ein, selbst wenn es nur für eine Reportage ist – vom Acker neben der Kirche in Alt-Rye. Ein kleiner, leichter Spaten in die eine Hand, in die andere ein Detektor, der je nach Modell zwischen einem und zweieinhalb Kilo wiegen kann. Was bei erfahrenen Sondengängern aussieht, als würden sie leichtfüßig mit Krückstock tanzen, ziept nach wenigen Minuten in der Schulter. „Mehr aus dem Ellenbogen heraus“, weist Bülow an. Die Spule am Ende der Stange im gleichmäßigen Abstand zu Erde halten, nicht zu weit oder schnell schwenken – gar nicht so einfach. Und das Gepiepe des Geräts ist eine Sprache, die man verstehen lernen muss. So verrät die Tonlänge nicht nur, wie nahe die Spule einem metallischen Gegenstand ist: Die Art des Tones – klar oder verwaschen, hoch oder tief – kann nebst der Anzeige im Display bereits Auskunft über Tiefe, Beschaffenheit oder Material des Fundstücks geben.
Die Detektoren haben allerdings Schwierigkeiten, Gold von Aluminium zu unterscheiden. Eine weggeworfene Coladose am Wegesrand kann Sondengänger dann noch Jahre später zum Grummeln bringen. Auch an diesem Sonntag findet sich in Alt-Rye vor allem Schrott. Schlechte Stimmung kommt trotzdem nicht auf. Auch nicht, als jedem Kälte und Nieselregen in die Knochen kriechen, bevor sich alle nach gut zwei Stunden Suche auf dem Parkplatz neben der Kirche zur Pause versammeln. Erzieher Tony Bülow macht seinen zur mobilen Werkstatt umgebauten Kofferraum auf und schiebt die Kabel, Werkzeuge und Batterien beiseite, denn auch die Sondengänger haben ihre Rituale. „Unser Sportprogramm“, sagt Bauunternehmer Michael Heldelund und zückt mit breitem Grinsen die Mitgliedskarte von einer großen Fitness-Kette. Damit schneidet er gleich große Stücke aus einem Kuchen in Bülows Kofferraum.
Bei Kaffee und Kuchen wird auch Patrick Rich Ketley warm und beginnt zu erzählen. Der 17-Jährige aus Alt-Rye ist der stille Star von „Midtdetekt“, und die Gründe dafür liegen nicht nur in Vitrinen in seinem Jugendzimmer. Seit ihm sein Vater vor sechs Jahren den ersten Detektor schenkte, hat der Schüler dort so einiges angesammelt: Auf blauem Samt thronen alte Münzen oder Kondomschachteln aus Blech; andere Fundstücke, etwa ein seltener Runenbrief der Wikinger und ein Dolch aus der Bronzezeit, sind zur Prüfung im Museum. Es ist aber vor allem sein breites Wissen, das die älteren Vereinsmitglieder an dem jungen Sondengänger schätzen – alles angelesen in Internetforen oder erlernt im Austausch mit Gleichgesinnten und Fachleuten. „Patrick studiert viele Karten im Internet“, sagt sein Vater, mittlerweile selbst Sondengänger und an diesem Sonntag mit von der Partie, denn es ist eine Art Heimspiel für Patrick. „Ich schaue nach Höhenunterschieden im Feld auf Google Earth und lese viel über die Geschichte der Gegend“, erklärt der 17-Jährige, er stoße so immer wieder auf Interessantes.
Für diese Laienfunde interessiert sich nicht zuletzt Andres Dobat, ein deutscher Archäologe, der seit vielen Jahren in Dänemark lebt und an der Universität Aarhus eine Professur innehat. Dobat setzt sich für „citizen science“ ein, für das Zusammenspiel zwischen Akademikern und Amateuren. „Mich hat frustriert, dass die vielen Laienfunde in Dänemark für die Wissenschaft nicht zugänglich waren“, sagt Dobat, „sie waren nur in den geschlossenen Systemen der vielen kleinen Museen und im Nationalmuseum registriert, teilweise noch in Exceltabellen und ohne Bilder.“ Dobat hat 2018 daher das DIME-Projekt initiiert: eine digitale Austauschplattform für Privatpersonen, die archäologische Objekte vor allem mittels Detektoren aufspüren. Per DIME-App können sie die Stücke samt Fotos, GPS-Daten und weiteren Informationen an die lokalen Museen übermitteln. Gleichzeitig entsteht so eine zentrale Datenbank, die im März 2021 die Marke von 100 000 Eintragungen überschritten hat. Sie soll Laien erste Anhaltspunkte für die Einordnung ihrer Stücke liefern, den Museen Arbeit bei der Registrierung abnehmen und Wissenschaftlern sowie Interessierten die Funde digital zugänglich machen.
Mehr als 2600 Amateursucher und alle 29 archäologischen Museen in Dänemark beteiligen sich an dem Projekt. Damit setze DIME in die Tat um, wofür sich in Wissenschaft und Kultur häufig nur Worthülsen fänden, sagt Dobat: „Es geht um den Grundstein einer demokratischen Gesellschaft, an der wir uns alle beteiligen; darum, dass wir gemeinsam kreativ sind und über unsere Umwelt nachdenken, dass wir lernen, analytisch zu denken und Argumente auszutauschen.“ Dass er als Professor mit einem Klempner, einer Beamtin oder jemandem ohne Ausbildung zusammenarbeiten könne, empfindet Dobat als Gewinn, doch mit seinem Ansatz eckt er bei internationalen Kollegen oft an. Nicht wenige Archäologen misstrauen Sondengängern und bleiben daher lieber auf Abstand zu Privatleuten, die in ihrer Freizeit mit Metalldetektoren unterwegs sind. In Deutschland ist Kultur zudem Ländersache. Jedes Bundesland hat ein eigenes Denkmalschutzgesetz. Mit den verschiedenen Paragraphen beginnt das rechtliche Herumgestochere in Suchgenehmigungen und Besitzansprüchen.
Außer in Schleswig-Holstein ist es Privatpersonen in allen deutschen Bundesländern generell erlaubt, mit Metalldetektoren unterwegs zu sein. Gezieltes Aufspüren archäologischer Funde ohne Genehmigung ist es teilweise schon nicht mehr, und: „Das Bergen der Funde, also das Ausgraben, ist in den meisten Denkmalschutzgesetzen genehmigungspflichtig“, sagt Michael Rind, Landesarchäologe für Westfalen und Vorsitzender des Verbandes der Landesarchäologen. „Im Denkmalschutzgesetz von NRW ist es zum Beispiel so geregelt, dass die Suche schon deshalb genehmigungspflichtig ist, weil sich daran immer auch ein Ausgraben des entsprechenden Fundes anschließt“, sagt Rind. Geradezu ein Paradebeispiel dürfte der Waffenhort von Wilzenberg aus der Zeit um 300 vor Christus sein: Mit einem Metalldetektor konnte ein Heimatforscher, der eng mit den Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zusammenarbeitet, in Nähe der Stadt Schmallenberg seit 2018 mehr als hundert Objekte aufspüren, darunter Waffen, Schilde, Gürtelhaken und Zaumzeug. Dem Sondengänger bescheinigte man erst kürzlich in einer Pressemitteilung eine „mustergültige Dokumentation“. Im Kontrast dazu stehen die Sorgen einiger Landesämter, Sondengänger könnten Bodendenkmäler beschädigen, Objekte aus ihrem Fundkontext herauslösen oder diesen sogar ganz zerstören. Das kann den wissenschaftlichen Wert eines Fundes weitgehend zunichtemachen. Zumindest aber wird die Einordnung schwieriger. „Bestes Beispiel ist die Himmelsscheibe von Nebra“, sagt Rind. Sondengänger hatten sie 1999 bei einer illegalen Suche in Sachsen-Anhalt gefunden. Die Bronzescheibe mit Goldapplikationen ist mehr als 3600 Jahre alt und die früheste bekannte Himmelsdarstellung. Nach ihrer Entdeckung landete sie aber nicht im Museum, sondern auf dem Kunstmarkt. Nur durch eine List des Landesamtes gelangte das Objekt wieder nach Sachsen-Anhalt. Dort wurde die bei ihrer Ausgrabung beschädigte Scheibe restauriert. Die mit ihr gefundenen Objekte mussten daraufhin untersucht werden, ob sie auch wirklich im Zusammenhang mit der Scheibe stehen.
Sachsen-Anhalts Anspruch auf das wertvolle Objekt gründet sich auf ein sogenanntes Schatzregal, wie es im Denkmalschutzgesetz von 15 Bundesländern verankert ist. Damit können sich Länder Funde, teilweise auch ohne Fundprämie zu zahlen, aneignen. Die Ausnahme ist Bayern. Dort gilt die „Hadrianische Teilung“, die auf Kaiser Hadrian (76 bis 138 n. Chr.) zurückgeht und Funde zu gleichen Teilen dem Entdecker und dem Grundstücksbesitzer zuspricht. Eine Pflicht, wertvolle Funde den Behörden zu melden, besteht aber auch im Freistaat.
Weil die Rechtslage nicht immer übersichtlich und das gegenseitige Vertrauen zwischen Wissenschaftlern und Amateurforschern angekratzt ist, lehnen einige Landesämter eine Zusammenarbeit mit Sondengängern kategorisch ab. „Auf der anderen Seite gibt es Länder, die versuchen, sich zu arrangieren“, sagt Rind. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen bieten die Landesämter etwa spezielle Kurse an, um Laien gezielt auszubilden und um sie für Gefahren zu sensibilisieren. Denn wer sondelt, findet nicht nur rostige Nägel und Münzen. Gerade in Deutschland stoßen Laien immer wieder auf scharfe Munition aus beiden Weltkriegen, die noch im Boden liegt.
Aber ihnen gelingen auch Entdeckungen von kulturhistorischer Bedeutung: Objekte, die womöglich neue Erkenntnisse liefern, aber verlorengegangen wären, hätten Laien sie nicht gefunden. Zum Beispiel auf Äckern, deren Überdüngung Metalle im Boden schneller verrotten lässt. „Münzbilder sind dann nicht mehr zu erkennen“, sagt Michael Rind: „Wenn man da zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahre wartet, sind diese Funde zerstört.“ Letztendlich sei die Einbindung der Laien, meint der Archäologe, auch eine personelle und finanzielle Frage. Das mache Corona deutlich: Seit der Pandemie gehen bei Michael Rind mehr Laienfunde als sonst ein, weil die Sucher mit Lizenz in Nordrhein-Westfalen öfter unterwegs sind. Die Mitarbeiter im Landesamt kämen mit ihrer Begutachtung gar nicht mehr hinterher. Hier könnte eine flächendeckende Digitalisierung wie in Dänemark zumindest ein wenig Abhilfe schaffen.
Bei den Sondengängern von „Midtdetekt“ in Jütland steht eine Woche nach der Suche an der Kirche von Alt-Rye ein neues Ausflugsziel auf dem Programm: Svostrup, ein Örtchen durch das sich Dänemarks längster Fluss, Gudenå, schlängelt. Schon die Wikinger sollen in der Nähe Handel betrieben haben. Von einem etwa zwanzig Hektar großen Acker, der einen leichten Hang hinaufführt, haben die Sondengänger einen guten Blick auf den Fluss. Und auf die wenigen Häuschen des Ortes.
Bauunternehmer Michael Hedelund und Pädagoge Tony Bülow sind wieder dabei, dieses Mal in Begleitung von einem Dutzend Frauen und Männern aus dem Verein. Die Truppe teilt sich in zwei Suchteams auf. Ob damit auch der Konkurrenzkampf eröffnet sei? „Dazu sollte es nicht kommen“, sagt Bülow, fügt aber an: „Zumindest nicht offiziell.“ Dann verschwindet er mit seinem Detektor und folgt den Furchen des Ackers.
Ein Stückchen den Hang hinunter bekommt „Midtdetekt“-Mitglied Christian Helt Svensson ein gutes Signal. Der junge Koch fällt auf die Knie, zieht die Handschuhe aus und gräbt mit den Händen vorsichtig in der Erde. Mit einem Pinpointer, einem elektrischen Suchgerät, das so groß ist wie ein Schraubenzieher, tastet Svensson die Stelle ab. Piep. Piep. Piiiep. Bald darauf zieht er ein rechteckiges Stück Eisen aus dem Boden; es ist etwa handtellergroß, die Seiten laufen an einem Ende auseinander, und die Vorderkante ist gewölbt. Da ist sie dann doch zu spüren, die Trophäenstimmung: Es scheint, als hätte Svensson gerade das Kopfstück einer Axt gefunden. Aufgeregt schießt der Finder Fotos vom Objekt, lädt sie in die DIME hoch und teilt die Aufnahmen in einer geschlossenen Facebook-Gruppe für Sondengänger, zu der mehr als 6000 Mitglieder in ganz Dänemark Zugang haben. Die ersten Likes kommen im Sekundentakt: „Glückwunsch, toller Fund!“, kommentiert ein User. „Mit welcher Einstellung hast du das gefunden?“, will ein anderer wissen. „In unseren Breitengraden kommt diese Axtform in der späten Eisenzeit bis ins Mittelalter vor“, kommentiert jemand.
Der Fund spricht sich auch auf dem Hang von Svostrup schnell rum. Zum rituellen Kaffeekränzchen, bei dem Hedelund wieder seine Fitness-Karte zückt, will jeder einen Blick auf den Eisenbrocken werfen. Doch die Axt ist nicht die einzige Entdeckung, auch andere Vereinsmitglieder haben Ausbeute zu präsentieren: eine dänische Münze aus dem 19. Jahrhundert, zwei kleine Vogel-Broschen und einen noch nicht ganz so alten Weißgoldring mit der Gravur „NIELS“ – „2-7-48“ – „19-1-88“.
Vergangene Woche haben die archäologischen Museen in Dänemark wieder aufgemacht. Nun können Bülow, Hedelund und alle anderen aus dem Verein ihre Sondenfundstücke mit historischem Wert abgeben. Auf eine Rückmeldung vom Nationalmuseum oder gar Finderlohn werden sie dennoch eine ganze Weile warten müssen. Trotz Digitalisierung und schnelleren Zugriffs ändert das DIME-Projekt bisher nichts daran, dass die Experten in Kopenhagen für die manuelle, analoge Begutachtung der zahlreichen Laienfunde ihre Zeit brauchen. Zweieinhalb Jahre müssen Sondengänger im Schnitt auf Antwort warten. Wer einen Weißgoldring vermisst, kann sich in der Zwischenzeit schon bei „Midtdetekt“ melden.
Nächstes Kapitel:
Ein Lied von Gold und Erz
Ein Lied von Gold und Erz
Von ULF VON RAUCHHAUPT
5. Mai 2021 · Verhüttung und Verarbeitung von Metallen wurde in der Steinzeit erfunden, und Eisen kannte man bereits in der Bronzezeit.
Wenn Archäologen oder Sondengänger auf Metallobjekte stoßen, die vor dem 19. Jahrhundert in den Boden gekommen sind, ist die Materialvielfalt begrenzt. Im Altertum waren nur acht verschiedene Elemente in ihrer metallischen Form bekannt: Gold, Silber, Blei, Kupfer, Zinn und Eisen sowie Quecksilber und – im alten Amerika – Platin.
Die Häufigkeit bestimmter Werkstoffe hat ganzen Zeitaltern ihre Namen gegeben. Eisernes etwa stammt zumeist aus der Eisenzeit, die in Mitteleuropa um 800 v. Chr. begann. Findet sich hingegen Bronze, hat man es oft mit einem Stück aus der Bronzezeit zu tun. Entsprechend gab es davor eine Steinzeit und dazwischen eine Kupferzeit. In die fällt zum Beispiel Ötzi, der um 3200 v. Chr. verstarb und in den Alpen als Gletschermumie überdauerte, nebst einer kupfernen Axt, die man bei ihm fand.
Tatsächlich aber begann das Interesse an Metallen tief in der Jungsteinzeit. Zu den frühesten archäologischen Goldfunden zählen etwa Schmuckstücke, die aus 6000 Jahre alten Gräbern der Varna-Kultur an der bulgarischen Schwarzmeerküste stammen. Diese Objekte wurden noch aus Nuggets oder Flitter zusammengehämmert. Aber schon wenig später sind in Susa im Südwesten des heutigen Iran auch gegossene Goldobjekte nachweisbar. Wie Gold kommt auch Silber in der Natur als Metall vor, glänzt dort allerdings nicht so schön. Deshalb sind die frühesten Silberartefakte – sie wurden um 3500 v. Chr. herum in Iran, Ostanatolien und Nordsyrien gefertigt – Produkte eines Kupellation genannten Verfahrens, bei dem aus silberhaltigen Bleierzen zunächst eine Legierung aus Silber und Blei entsteht, bevor Letzteres dann oxidiert wird.
Blei ist ebenfalls ein historisch wichtiger Werkstoff. „In der Kulturgeschichte ist das Blei vielleicht sogar das erste verhüttete Metall“, sagt Ernst Pernicka, Direktor des Curt-Engelhorn-Zentrums für Archäometrie in Mannheim. So gebe es ein Bleiarmband vom Yarim Tepe im Irak, das auf circa 6000 v. Chr. datiert. Die Umwandlung bröckeliger Bleierze bei zufälligem Erhitzen zu einem duktilen Material könnte den Weg zu einer gezielten Verhüttung von Kupfererzen gewiesen haben, vermutet der Fachmann für archäologische Metalle. Dem Blei mit seinem niedrigen Schmelzpunkt von nur 327 Grad Celsius könnte auch die Idee zu verdanken sein, geschmolzenes Metall in Formen zu gießen. So heiß wird jedes Lagerfeuer. Kupfer hingegen schmilzt erst bei 1082 Grad, um es aus seinen Erzen zu lösen, muss außerdem Sauerstoffmangel herrschen. Diese Bedingungen werden in Brennöfen für Töpferwaren durchaus erreicht, aber schon in der frühen vorkeramischen Jungsteinzeit waren Kupfererze aufgefallen: Im Osten der Türkei wurden Brocken von Kupfermineralen gefunden, die um 9500 vor Christus jemand gesammelt haben muss, vermutlich ihrer grünen Farbe wegen. In der Palette der altsteinzeitlichen Jäger- und Sammlerkulturen hatte Grün noch keine Rolle gespielt, in ihren Höhlenmalereien herrschten Rottöne vor. Die frühen Ackerbauer jedoch fertigten Schmuckperlen aus grünen Kupfermineralen an, und schon im frühen achten Jahrtausend vor Christus wurde, ebenfalls in Ostanatolien, Naturkupfer zurechtgehämmert, bis irgendwann jemand herausfand, wie man aus jenen grünen Steinen mittels großer Hitze das rötlich glänzende Metall gewinnen konnte.
Archäologisch nachweisbar ist eine Kupferverhüttung durch zurückbleibende Schlacken. Die frühesten datieren in das fünfte Jahrtausend v. Chr, allerdings fanden sie sich nicht dort, wo man zuerst mit Naturkupfer hantiert hatte, sondern im Iran sowie in Bulgarien und Serbien. Der serbische Fundort Belovode liegt sogar in der Nähe der prähistorischen Kupfermine Rudna Glava. Dennoch sei die Frage, wo die Kupferverhüttung zuerst entwickelt wurde, nach wie vor offen, schrieb Pernicka 2020 im Fachjournal Quaternary International. Und auch, ob das einmal oder mehrfach an verschiedenen Orten geschah.
Tatsächlich wurde die Kupfer- und Bronzemetallurgie später im präkolumbischen Amerika noch einmal neu erfunden. Allerdings stellten erst die Inka im größeren Umfang metallene Werkzeuge und Waffen her. In der Alten Welt war Metallurgie da schon viereinhalb Jahrtausende auch eine Rüstungstechnologie gewesen, insbesondere nachdem man erkannt hatte, wie aus weichem Kupfer durch Zugabe von Zinn ein Material wird, aus dem sich solide Äxte und Schwerter anfertigen lassen: die Bronze.
Diese Erfindung hatte erhebliche gesellschaftliche Folgen, und nicht nur ihrer militärischen Bedeutung wegen. Denn Zinn gab es nicht im Vorderen Orient, der Heimstätte erst des Agrarwesens, dann der Metallurgie. Es musste aus der Ferne importiert werden: aus dem heutigen Afghanistan oder aus Westeuropa: aus Galizien oder Cornwall. Zinn hatte damit in der Bronzezeit eine vergleichbare Bedeutung wie heute das Erdöl, und der Fernhandel damit stabilisierte ein System von Staaten, die zwar miteinander rivalisierten, aber letztlich alle vom Funktionieren des internationalen Wirtschaftsgefüges abhängig waren: Ägypten, die Mykenische Kultur, Assur, Babylon, das Reich von Mitanni und das der Hethiter.
Letztere verfügten zudem über Eisen. Die Eisenverhüttung war offenbar schon in der frühen Bronzezeit in Anatolien entdeckt worden: In Alacahöyük wurde unter anderem ein Prunk-Doch mit eiserner Klinge gefunden, der aus der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends vor Christus stammt. Das Material ließ man sich teuer bezahlen; in einem assyrischen Text aus der Zeit kurz nach 2000 v. Chr. beklagt sich jemand, der Eisen zu verkaufen hatte, dass ihm für ein Schekel Eisen nur acht Schekel Gold geboten worden seien. Dabei diente Eisen damals noch nicht zur Herstellung praxistauglicher Waffen. Das ist erst 200 Jahre später belegt, hat aber die Bronzezeit damit noch lange nicht beendet.
Selbst nachdem es den Hethitern gelungen war, neben weichem Schmiedeeisen auch kohlenstoffreichere, unserem Stahl ähnlichere Varianten herzustellen, blieben solche Waffen denen aus guter Zinnbronze unterlegen. Eisen war ein Material für Prestigeobjekte: Zepter fertigte man daraus, sogar ein „Eiserner Thron“ wird in einem hethitischen Text aus dem 16. Jahrhundert erwähnt. Auch die Klinge, die man Pharao Tutanchamun 1325 v. Chr. ins Grab legte, war vielleicht seine wertvollste, aber kaum seine beste Waffe. Sie besteht ausweislich ihres Nickelgehalts aus Meteoreisen, ägyptisch „bi’ ne-pet“ (Metall des Himmels), was von „bi’ ne-retjenu“ (Importmetall) unterschieden wurde. Der Austausch von Luxusgütern war eine andere Facette der über die Zinnströme miteinander verwobenen Wirtschaftswelt der Spätbronzezeit.
Diese Welt brach im frühen 12. Jahrhundert vor Christus plötzlich zusammen. Über die genauen Ursachen rätseln die Althistoriker noch immer. Sicher aber ist, dass die Handelsrouten nachhaltig unterbrochen worden waren. Da das Zinn für die Bronze fehlte, waren die Menschen im Vorderen Orient nun gezwungen, die Verhüttung und Verarbeitung eines Metalls zu verbessern, dessen Erze dort an vielen Stellen vorkommen. So begann die Eisenzeit.
Das Startbild zeigt ein etwa 2900 Jahre altes Hängebecken aus Bronze, Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale. Foto: DPA
Quelle: F.A.S.
Veröffentlicht: 05.05.2021 16:40 Uhr
Author: Jessica Stewart
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